4. Schulwoche

4. Schulwoche, 23. bis 27. Mai:

Mittwoch, 25. Mai, Halbzeit! Verschiedene Gefühle kommen auf, einerseits Freude, in 6 ½ Wochen kann ich Charly, Katerina und Markus in die Arme schliessen und all meine Lieben wiedersehen. Andererseits geht eine besondere, tolle, eindrückliche, unvergessliche Zeit in die Endrunde. Fast wie geplant bekomme ich Post von zu Hause von meiner gesamten Familie. Ich freue mich sehr!
Die Woche beginnt nach einem tollen Wochenende. Am Samstag besuchen wir den French Market im Stadtteil Parnel. Nicht ganz einfach zu finden aber mit Fragen und dem Gefühl folgend werden wir fündig. Herrlich, was uns da alles für Düfte in die Nase steigen. Man fühlt sich gerade wie in Frankreich, bella Italia, Spanien und der Türkei zugleich. Die Entscheidung, was uns am meisten gluschtet fällt uns schwer. Für den Apéro zu Hause werde ich beim Türken natürlich fündig. So bringe ich ein bisschen mediterrane Atmosphäre ins Haus. Zum Znacht kaufen wir uns feine Ravioli vom Italiener. Knuspriges Brot darf natürlich auch nicht fehlen, essen wir hier doch mehrheitlich Toast zum Zmorgen. Es gibt zwar verschiedene Sorten von Toast, aber er hängt mir ein bisschen zum Halse heraus. Das ist etwas, das mir definitiv fehlt hier. So backe ich am Wochenende wie üblich eine Zopf, den alle lieben.

Den Sonntag verbringe ich auf der Vulkaninsel Rangitoto, ca. 30 Minuten ausserhalb von Auckland. Das Ticket für mich habe ich am Freitag online gebucht und kann Eveline nicht überreden, mit zu kommen. So sitze ich am Sonntag gemütlich am Hafen beim Italiener, trinke einen feinen Espresso und warte auf die Abfahrt. Da kommt überraschenderweise eine Gruppe Studenten aus unserer Schule. Somit habe ich den ganzen Tag Gesellschaft und wir geniessen einen wunderbaren sonnigen Wandertag durch eindrückliche Vulkanlandschaft. Erstaunlich und wundersam ist für mich, dass zwischen den grossen Lavasteinen, die die gesamte Insel bedecken wieder Pflanzen wachsen. Der Rangitoto ist der „jüngste“ der ca. 56 Vulkane von Auckland. Er ist 800 Jahre alt. Von der Stadt aus erkennt man die Insel sogleich, da sie sehr lang gezogen ist und eben wie ein Vulkan, der sich aus dem Meer erhebt aussieht. Wenn man auf dem Krater steht blickt man auf die unterdessen begrünte Insel und kann sich sehr gut vorstellen, wie es vor 8 Jahrhunderten gewütet haben muss. Ich stelle mir vor, wie das zähe Lava damals den Weg zum Meer gesucht hat. Die schwarzen Steine sind Zeitzeugen jenes Naturereignisses. Auf dem Weg um die Insel kommen wir an einen wunderbaren einsamen Strand. Runde ausgewaschene Lavasteine liegen im dunklen Sand, das Meer glitzert silbern. Ob wohl eine kurze Pause drin liegt? Wir entscheiden und für die Pause, müssen dann aber für den Rest des Weges ein zügiges Tempo durchziehen.
So geht das Wochenende zu Ende und am Montag erfahren wir, dass in einer Woche der Monatstest ansteht. Hoppla, das bedeutet, die letzten 4 Wochen Grammatik auffrischen und sich die Seiten der behandelten Units im Schulbuch nochmals zu Gemüte zu führen.
Am Dienstag gegen 16.00 Uhr brummt unser Kopf, wir haben genug von der Computer- und Kopfarbeit. Ich merke, wie mir das Tun mit den Händen und die Aktivität fehlt. Auch habe ich etwas Mühe mit den Augen. So ergeht es auch Eveline und wir entschliessen uns für einen Break. In einem sehr gemütlichen Lokal nicht weit weg von der Schule finden wir einen Platz und läuten den Feierabend ein. Wir tauschen uns aus und lassen die vergangenen Wochen passieren. So viele Eindrücke, Begegnungen, Erlebnisse und Ereignisse sind zu verdauen. Eine gute Ablenkung und Entspannung ist für mich auch, zu Hause etwas im Haushalt zu machen, mit der Familie zusammen zu sein, Gespräche zu führen und die Schulbücher ruhen zu lassen.
Mitte Woche werden wir in der Schule von einem Feueralarm aufgescheucht. Von der Lehrkraft bekommen wir Anweisungen, wo wir uns versammeln müssen. Schnell ist das Gebäude geräumt und es stellt sich heraus, dass es nur eine Übung war. In der Lektion haben wir die Gelegenheit, uns schriftlich über den Unterrichts zu äussern, was wir schätzen, was weniger, welche Vorschläge wir für den Unterricht hätten, ob wir die Menge der Hausaufgaben in Ordnung finden und ob wir uns wohl fühlen in der Klasse. Und das natürlich wiederum in Englisch. Selbstverständlich äussere ich mich zu den Themen und bringe auch an, dass es mich stört, wenn immer dieselben Studenten zu spät zum Unterricht erscheinen. Mal schauen, ob sich die Lehrkraft endlich durchsetzen kann und ein Inschallah (die Saudis entschuldigen sich jedes Mal und versprechen Besserung mit diesem Ausdruck) nicht akzeptiert.

Leider verlassen uns auch immer wieder Mitschüler, so in Kürze meine Banknachbarin Chie aus Japan und Han, unser „Adoptivstudent“ aus Korea. Ich bitte sie, mir in ihrer Schrift und Sprache „Willkommen“ zu schreiben. So komme ich aus erster Hand zu ganz verschiedenen Plakaten, die ich dann an unsere Kindergartentüre hänge im nächsten Schuljahr. Ein schönes Andenken und gute Erinnerungen an Begegnungen mit interessanten Menschen aus aller Welt. Chie ist eine Künstlerin und arbeitet in ihrer Heimat und auch in Vietnam und Kambodscha mit kranken Menschen und Kindern. Sie führt Maltherapien durch und ist eine angesehene Malerin. Schon etliche Ausstellungen hat sie organisiert und hat sogar in Italien an der Bienale ausgestellt. Sie ist eine herzliche Person, ich verstehe mich sehr gut mit ihr. Sie erzählt, dass sie ein Bild gestalten möchte, das ihren Landsleuten Hoffnung und Zuversicht bringen soll nach der Naturkatastrophe im März dieses Jahres. Dazu bitte sie uns, auf Karten verschiedene Wünsche in unserer Sprache zu schreiben. Da bin ich gespannt auf das Kunstwerk.
Überraschenderweise werden wir für den kommenden Samstag von Han zu einem koreanischen Abschieds-Mittagessen eingeladen. Er möchte für uns kochen, eine sehr schöne Geste finden wir und nehmen natürlich an. Nun sind wir gespannt, was uns da erwartet. Er bekocht uns im Haus seiner Hostmum in Devonport. Han wird uns in den kommenden 4 Wochen sicher fehlen, haben wir doch keine treue Begleitung mehr zum Lunch.

Und schon ist wieder Donnerstag. Der Unterricht ist von Grammatik geprägt. Nicht gerade meine Spezialität. Ich fürchte jetzt schon den Test am Montag… Sicher schneide ich im Speaking besser ab als in Grammar. Lassen wir uns mal überraschen. Im LearningCenter entscheide ich mich zum ersten Mal für einen DVD. Ich wähle den Film „Sense and Sensibility“ mit Hugh Grant und Emma Thomson. Ein wunderbarer Film, den ich schon vom Kino her kenne. Bewaffnet mit Papier und Stift setze ich mich in die DVD-Ecke und lasse mich ins England des letzten Jahrhunderts entführen. Ich freue mich sehr, dass ich den Inhalt des Filmes und den Ablauf verstehe. Einzelne Worte notiere ich mir, damit ich sie später noch im Dicionary nachschlagen kann. Erfreulich zu merken, dass der Umgang mit der englischen Sprache Fortschritte zeigt und sich der Wortschatz von Tag zu Tag erweitert.
Der Freitag ist immer etwas besonders, da unsere Klasse dann oft nur aus Frauen besteht. Die Männer, bei uns ausschliesslich Saudis treffen sich zum gemeinsamen Gebet. Obwohl es erst um 12.30 Uhr beginnt erscheinen sie schon von Beginn an nicht. Jänu, mir soll es recht sein, dann trampelt keiner bewaffnet mit einer heissen Schoggi (die trinken alle immer heisse Schoggi) zu spät ins Klassenzimmer. Nawal, eine junge Frau aus Pakistan ist immer eine der Ersten im Zimmer und begrüsst uns unter der Türe. Mir ruft sie jeweils schon von weitem “Hello Switzerland“. Sie hat mir diese Woche ihr Gesicht gezeigt in der Toilette. Sehr speziell, denn ich habe mir ihr Gesicht etwas anders vorgestellt. Sie ist eine sehr hübsche Frau und ich frage mich so oft, was genau die Motivation ist, sich so zu verschleiern. Ich habe mich aber sehr darüber gefreut, dass sie sich so geöffnet hat. Der Unterricht ist sehr aktiv heute, da wir ein bisschen Einblick bekommen in die politischen Parteien (Political Party) NZ’s bekommen. Wir erhalten den Auftrag, in Tandems eine  neue Partei zu gründen, ihr einen Namen zu geben und mit verschiedenen Wahlslogans für uns zu werben. Die Arbeit zu Zweit macht Spass und die Präsentationen sind sauglatt.
Auch in der Konversationsgruppe im Learning Center sind wir heute nur Frauen und ich lerne Nora, auch eine Frau aus Saudi Arabien kennen. Das Thema heute sind „Jobs“. Wir schweifen jedoch ab, da sie wie sie sagt „nur“ Studentin ist und diskutieren nach meinen Ausführungen zum Thema ab. Sie berichtet von ihrem Leben in NZ. Sie ist verheiratet, ihr Mann arbeitet als Arzt schon seit mehreren Jahren im Land. Sie lebt nun mit ihrem 2 jährigen Sohn auch hier und lernt Englisch. Ich staune und bewundere sie auch ein bisschen. Sie erzählt auch, dass sie mit ihren Fortschritten nicht zufrieden ist, da sie sich in der Klasse kaum äussere, wegen der Männer und somit auch wenig Praxis habe. Wieder etwas, was für mich total fremd ist. Ich finde aber, Nora spricht die Sprache recht gut und meine Gedanken gehen zu unseren fremdsprachigen Müttern.
Jedes Jahr im September laden wir die fremdsprachigen Mütter ein und machen ihnen den Deutschkurs schmackhaft. Die Einen sind schnell dazu bereit, sich für den Unterricht anzumelden, Andere wiederum sind nur sehr schwierig dazu zu begeistern. Schon sehr oft habe ich mich in die Situation dieser Frauen versetzt und ich bekomme es jetzt am eigenen Leib zu spüren. Eine neue Sprache zu erlernen ist eine echte Herausforderung und benötigt viel Durchhaltewille und Disziplin. Sich allenfalls auch noch mit einer anderen Schrift zu beschäftigen ist zusätzlich eine Erschwerung. Bei den nächsten Gesprächen betreffend Deutschunterricht für Frauen in unserer Schulgemeinde werde ich sicher an meine Erfahrungen erinnert. Ich erlerne Englisch freiwillig, jedoch von den Mütter unserer Kinder wird der Besuch des Kurses erwartet. Ich bin sicher, dass ich mit meinen Erfahrungen auch ein Stück weit aufzeigen kann, dass das Kommunizieren untereinander sehr wertvoll ist und sich auch Türen öffnen, wenn man mit den Menschen um einen herum sprechen kann. So auf jeden Fall erlebe ich es Tag für Tag.

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